Wir alle haben es schon einmal erlebt. Man legt sich mit gutem Gewissen ins Bett, schläft ein, träumt schnell fünf, sechs kleine Träume, und plötzlich wird man ohne Grund wach. Nicht ganz wach, nur halbwach. Und dann ist der Teufel los. Die ganz kleinen täglichen Sorgen blähen sich zu einem Ballon auf, der in ein paar Sekunden explodieren wird. Die ganz kleinen Ängste entwickeln sich zu monströsen Ungeheuern, die man nicht verscheuchen kann.
Diese nächtliche Banalität hat der spanische Maler Francisco Goya in seinem Bild „Der Schlaf der Vernunft produziert die Ungeheuer“ verallgemeinert. Goya zeichnet einen Mann, dem der Kopf vor Müdigkeit auf den Tisch fällt. Er schläft gerade in dem Augenblick ein, in dem bizarre Fledermäuse aus ihren Höhlen heraus kriechen und Schrecken verbreiten. Goya will zeigen, dass nicht mehr die schläfrige Dumpfheit in Politik und Religion, sondern nur noch die Helligkeit der Aufklärung herrschen sollen. Der „aufgeklärte“ Mensch darf –symbolisch – nicht mehr schlafen, denn dann geriete die vernünftige Welt aus den Fugen. Wie in der Ukraine. Und in diesem Moment tritt unsere Bundeskanzlerin in das Rampenlicht der Geschichte.
Obwohl sie innerhalb weniger Tage einmal um die Welt geflogen ist, die in Kiew, in Washington, in Ottawa, in Moskau und in Minsk – zusätzlich auch noch in Brüssel ein Streitgespräch mit dem widerborstigen griechischen Ministerpräsidenten – ununterbrochen verhandeln musste, war sie hellwach; denn auf der anderen Seite saß schließlich Putin, von dem man weiß, dass er Karate pflegt. Die beiden, assistiert von Hollande und Poroschenko, verhandelten über den bewaffneten Frieden vom Nachmittag an über den Abend, über die Nacht bis in den Morgengrauen. Und als Putin aus dieser Schlacht der Appelle und Weckrufe am Morgen eingestand, es sei die härteste Nacht seines Lebens gewesen, da fragte ich mich besorgt: Wie kann unsere Bundeskanzlerin diesen Marathon der Verhandlungen aushalten, woher nimmt diese Frau ihre Kraft und wann schläft sie eigentlich. Auf die Frage, wie sie mit dem Schlafentzug umgehe, war sie anscheinend vorbereitet, denn vor 2 Jahren schon hat sie einmal auf eine ähnliche Frage geantwortet. Sie imitiere die Überlebenstechnik der Kamele. Nach ihrer Auffassung können Kamele für die Überquerung der Sahara unendliche Mengen an Wasser trinken und außerdem könnten sie auf Vorrat schlafen. Merkel selbst sagte wörtlich: „Ich habe eine Art Kamelkapazität, mit Schlaf umzugehen. Das ist eine Fähigkeit, die für dieses Amt nicht unwichtig ist. Ich kann über eine gewisse Zeit, fünf oder sechs Tage lang, mit wirklich sehr wenig Schlaf auskommen. Dann brauche ich auch wieder einen Tag, an dem ich ausschlafe, zehn, zwölf Stunden.“ Und damit zeigt die Bundeskanzlerin, was wirklich in ihr steckt, nämlich den griechischen Philosophen Diogenes, der einstens sinngemäß sagte: Glücklich ist, wer zur rechten Zeit wach bleibt.